Das war knapp!


Veröffentlicht am   08.11.2021 von Kai

„Unangenehmes oder vielleicht auch Gefährliches passiert immer nur den anderen.“ Mit diesem Grundgedanken gehe sicherlich nicht nur ich durchs Leben. Denn sollte man stets mit dem Schlimmen, ja Schlimmsten rechnen, dann dürfte man sich nicht mehr aus dem Haus trauen. Nun, eigentlich dürfte man sogar nicht mehr das Bett verlassen. Zu groß wäre wahrscheinlich die Angst vor Unfall oder Unbill, vor Unannehmlichkeit und Ungemach. Da aber oft nicht nur der Broterwerb ansteht, sondern im Anschluss ab und an auch eine Golfrunde, so treibt es mich doch regelmäßig aus den Federn. Und da ich gerade hier sitze und diese Zeilen schreibe, scheint mein Credo ja auch zu stimmen. Die armen anderen.

Ja, so dachte ich auch kürzlich wieder, nein, so hätte ich gedacht, würde ich mir beim Verlassen des Bettes darüber überhaupt Gedanken machen. Statt dessen hieß es: Her mit dem Kaffee und ab ins Büro. Jeder kleine Arbeitsschritt brachte mich der Tee-Time näher und alsbald schon fuhr ich auf den Parkplatz, zog die Golfschuhe an und schnallte mein Bag auf das Cart. Mein Golfpartner tat gleiches und nach einer halben Stunde auf der Driving Range konnte die Runde beginnen.

Es war wie immer: herrlich. Vom ersten Ansprechen des Balles am ersten Abschlag an war alles vergessen, was nicht mit dem Schläger, dem Ball, dem Loch und mir zu tun hatte. Naja, und meinem Golfpartner natürlich, stehen und spielen wir doch in fröhlicher Konkurrenz. Der Abschlag: naja. Die Annäherung: ging so. Das Putten: katastrophal. Alles wie immer also. Bis zu dem Moment am fünften Loch, als mein Driver mal wieder anders wollte, als ich es gewünscht, gehofft, ja fast erwartet hatte und der Ball neben dem Fairway an einem Baum landete. Genauer gesagt bildeten Ball, Baum und Loch eine perfekte Linie. Ich hatte mich quasi gesnookert, ungefähr fünf Meter hinter dem natürlichen Hindernis in Form einer Birke. Selbst das Grün war nur zu erreichen, wenn der Schlag nicht nur eine gute Länge haben, sondern den Ball auch nur knapp am Baum vorbeizirkeln würde. Für einen hohen Handicapper wie mich kein leichtes Unterfangen.

Den Pitching Wedge aus dem Bag zu ziehen, einen guten Stand einzunehmen und den Ball anzusprechen war beinahe eins. Ein, zwei Probeschwünge und nochmal ein kritischer Blick am Baum vorbei zum Grün. Das muss doch zu schaffen sein. Ich hatte schließlich schon schwierigere Lagen gut gelöst (die Vielzahl von miserablen Rettungsversuchen sind vergessen, es zählt schließlich immer nur der nächste Schlag). Mein Kollege lächelte mir aufmunternd zu: „Du schaffst das“, las ich aus seinem Blick. Und so senkte ich den Kopf, holte aus und ließ einen gekonnten Schlag folgen. – So dachte ich jedenfalls.

Doch leider hatte ich im Durchschwung mal wieder den Kopf viel zu früh gehoben, den Blick zu schnell vom Ball entfernt. Leider? Nein, zum Glück, zumindest in diesem Fall. Denn ich hörte ein lautes „Plock“ und sah zeitgleich, wie der Ball gegen den Baum prallte. Im Bruchteil einer Sekunde änderte er seine Richtung, um ziemlich genau 180 Grad. Er kam direkt auf mein Kopf zu. Diese Situation hatte ich schon in zwei oder drei Golfvideos gesehen, doch nicht so perfekt. In den Filmen flog der Ball am Spieler vorbei. Danach sah es in meinem Fall leider nichts aus. Aber wie war das noch? Das Gefährliche passiert immer nur den anderen? Diese Situation sah wirklich böse aus, wie mir mein Mitspieler kurz darauf bestätigte. Böse und ziemlich gefährlich.

Ich weiß nicht, welche Geschwindigkeit der Ball hatte, ich weiß nicht, wie ein Schädel reagiert, wenn er von einem Golfball getroffen wird. Und letzteres musste ich zum Glück auch nicht erfahren, denn: meine Reflexe funktionieren noch. Ich duckte mich unter dem Ball weg. Nicht, dass ich mir darauf etwas einbilden würde oder damit gerechnet hätte. Aber ohne groß nachzudenken ging mein Körper in die Knie, der Ball flog knapp über meinen Kopf und landete ein gutes Stück hinter mir im Gras. Es ist gutgegangen. Ich hatte wohl einen Schutzengel.

Wie ich, so atmete auch mein Mitspieler einmal tief durch. Hat wohl erst übel, dann leicht akrobatisch ausgesehen, die Nummer. Ich freute mich, nicht mit einer Ambulanz den Platz verlassen zu müssen. Aber ganz, ganz tief in meinem Inneren, da sagte eine Stimme mit leicht ironischem Ton: „Toll gemacht. Wieder ein Schlag mehr für nichts auf der Scorecard. Und dann noch weiter weg vom Loch als vor diesem Kunststück.“ Ach, wenn doch dieser Ehrgeiz nicht wäre. Aber gehört der nicht irgendwie zum Spiel dazu? Egal. Der Rest der Runde verlief ohne Vorkommnisse. Es hat mir auch gereicht. Von wegen, Gefährliches passiert nur den anderen….


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